Gastbeitrag Bosch-Chef Denner: Warum die Zukunft des Autos im Internet liegt

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    • Gastbeitrag Bosch-Chef Denner: Warum die Zukunft des Autos im Internet liegt

      Für Bosch-Chef Volkmar Denner ist das Automobil kein Auslaufmodell. Durch das Internet erfährt das Fahrzeug eine ganz neue Qualität. Doch den Menschen wird auch Mobilitätspragmatismus abverlangt. Denner sagt: Mobilität verändern, das heißt Mobilität vernetzen. Ein Gastbeitrag.

      Das "heilige Blech" wurde es genannt. Doch die Zeiten scheinen vorbei, da das Auto ein Gegenstand beinahe religiöser Verehrung war. Heute ist es nicht mehr so sehr das Ziel aller Träume, eher schon ein Mittel, um andere Träume zu erreichen. Das Auto – bloß noch ein funktionales Verkehrsmittel? Nicht ganz! Denn das Internet bringt eine neue Qualität des Fahrens.
      Diese These hat Bosch früher als andere vertreten. Schon vor nahezu zehn Jahren hieß unsere Prognose: "Das Internet kommt ins Auto, und das Auto geht ins Internet." Jetzt realisieren wir die eigene These. Zwar werden die Menschen auch künftig unmittelbar mobil bleiben wollen. Aber je nach Verkehr werden sie flexibler unterwegs sein als bisher, durchaus mit dem Auto, aber auch mit Bahnen, Bussen oder Bikes. Mobil bleiben können wir also nur, wenn wir die Mobilität verändern – und verändern heißt vernetzen.
      Egal ob wir es ökonomisch oder ökologisch betrachten, ob wir auf die Vorgaben der Politik oder das Verhalten jedes Einzelnen schauen – keine Einsicht führt am Bedeutungswandel des Autos in unserer Gesellschaft vorbei. Weniger denn je sehen junge Menschen im Besitz eines eigenen Fahrzeugs das erste Statussymbol. Das Auto selbst steht im Fadenkreuz der Verkehrspolitik, die immer auch Wirtschafts- und Umweltpolitik ist. Staus, Unfälle, Klimawandel, Luftreinhaltung – vielfältig sind die Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Und nicht bloß nebenbei, wer wollte das leugnen, geht es um den Erhalt von hunderttausenden Arbeitsplätzen. Das ist die Lage, in der die Automobilindustrie zwei Dinge zugleich tun muss: noch bessere Autos bauen, aber auch die Mobilität neu denken.

      Metropolen als Vorreiter
      Die Metropolen in aller Welt tun nichts anderes – man könnte auch sagen: ihnen bleibt nichts anderes übrig. 2050 wird es mehr als sechs Milliarden Großstadt-Einwohner geben, doppelt so viele wie heute. Der urbane Verkehr wird sich bis dahin verdreifachen, und mit dem Online-Handel legt besonders der Lieferverkehr zu. Mehr Straßen sind dafür kaum noch eine Lösung. Stattdessen verzeichnen wir in der Stadtplanung einen Paradigmenwechsel; weg von der allein autogerechten Stadt, hin zu einem flexiblen Verkehrssystem – flexibel und intermodal über alle Verkehrsträger hinweg. Die dreifache Devise der Metropolen heißt: Verkehr vermeiden, verlagern und verändern.
      Verkehr vermeiden – das ist langfristiges Anliegen der Stadtplaner selbst, etwa wenn sie Gewerbe- und Wohngebiete mischen, damit weniger Fahrten von A nach B notwendig werden. Verkehr verlagern – das bedeutet für jeden, der unterwegs ist: es muss nicht immer das Auto sein. Und Verkehr verändern – das erfordert ganz konkret: wenn schon Autofahren, dann so emissions- und unfallfrei wie möglich. Es scheint, als wäre die Automobilindustrie vor allem zum dritten Ziel unterwegs, indem sie das Fahren elektrifiziert und automatisiert. Tatsächlich aber kann sie noch mehr: das Auto mit anderen Verkehrsträgern vernetzen. Erst damit wird Mobilität auch so stressfrei wie möglich. Und machen wir uns nichts vor: Ohne Stress von A nach B zu kommen, das mag nicht das erste Anliegen der Stadtplaner sein, wohl aber der Stadtbewohner.

      Mehr Pragmatismus gefordert
      Wie aber dieses Anliegen einlösen? Auch diese Frage lässt sich nur differenziert beantworten. Jeder Einzelne wird unterwegs mehr als bisher umsteigen müssen – bereit zum Wechsel zwischen vier Rädern, zwei Rädern und Schiene. Wir nennen das den neuen Mobilitätspragmatismus. Doch nicht nur auf die Einstellung kommt es an, der Pragmatismus ist an technische Voraussetzungen geknüpft – Voraussetzungen, die wiederum die Automobilindustrie einlösen kann. Sie muss dafür sorgen, dass der Wechsel vom eigenen Fahrzeug auf andere Verkehrsträger so einfach wie möglich wird. Das heißt zum Beispiel: den Autofahrer mit einer Sprachbedienung so zu entlasten, dass er ohne jede Ablenkung vom Fahren via Internet Parkplätze in der Nähe von Bike-oder Bahnstationen reservieren kann. Die Städter der Zukunft, das ist meine Überzeugung, werden nicht nur auf Rädern, vielmehr auch mit Daten unterwegs sein. Ihr ganz persönlicher Mobilitätsassistent wird sie mit Services aus der Cloud bedienen – ohne ihn gehen sie nicht aus dem Haus …
      Eine schöne Vision, die bloß vom alltäglichen "traffic jam" ablenkt? Keineswegs, das Ziel mag ein Fernziel sein, aber Schritt für Schritt kommen wir ihm näher. Beispiel Parkplatzsuche, nach wie vor Stressfaktor Nummer eins im Stadtverkehr, allein darauf geht jeder dritte gefahrene Kilometer zurück. Autos, die am Parkhaus abgestellt werden und selbständig zum nächsten freien Platz rangieren, Autos, die mit ihren Sensoren Parklücken am Straßenrand erkennen und diese Lücken übers Internet in eine Online-Karte einspeisen – das eine wie das andere wird mit Technik von Bosch in diesem Jahr erstmals Realität.
      Und gerade erst hat Bosch das amerikanische Start-up SPLT übernommen, das eine Mitfahr-App für Berufspendler entwickelt hat – so bringt selbst die Rush-hour weniger Stress. Insgesamt zeichnet sich mit vernetzten Lösungen wie diesen ein Milliarden-Markt ab. Noch ist dieser Markt fragmentiert, aber Bosch strebt hier ein deutlich zweistelliges Wachstum an. Dazu ist die Gründung des Geschäftsbereichs Connected Mobility Solutions ein Signal: Es ist an der Zeit, die Zukunft der Mobilität nicht mehr nur mit Pilotprojekten zu erproben, es ist Zeit, damit in die breite Anwendung zu gehen.

      Hohe Investitionen
      Zugegeben, die Investitionen für die Mobilität von morgen sind hoch. Keine andere deutsche Branche gibt so viel für Forschung und Entwicklung aus wie die Automobilindustrie. Ein Aufwand, der sich binnen zehn Jahren verdoppelt hat, bei Bosch ist er sogar noch stärker gestiegen. Bei allem Druck auf die Branche, diese Anstrengung sollte die Politik nicht einfach ausblenden. Im Gegenteil: Auch sie muss den Reden über die Mobilität von morgen Taten folgen lassen. Auf zwei Punkte kommt es dabei an: Zum einen gehört auch die Infrastruktur vernetzt, etwa die Ampeln. Und zum anderen sollten, über den Notruf hinaus, leistungsfähige Kommunikationsboxen in die Fahrzeuge eingebaut werden. Erst dann können die Autos mit der Infrastruktur oder auch untereinander Daten austauschen – etwa für eine grüne Welle je nach Verkehrsaufkommen. Zu Recht will die Politik die Modernisierung des Verkehrssystems, aber sie selbst kann dafür den nötigen Rahmen schaffen.
      Die Automobilindustrie jedenfalls hat ihren Entwicklungsaufwand nicht bloß in ihren klassischen Domänen unter der Motorhaube gesteigert. Vielmehr ist die Informationstechnik auf Rädern immer wichtiger geworden. Allein Bosch beschäftigt inzwischen mehr als 25.000 Software- und IT-Spezialisten, darunter gut 4000 Entwickler für das Internet der Dinge. Das ist bezeichnend für den Wandel eines Automobilzulieferers zum vielseitigen Technologie-Unternehmen. Die Automobilindustrie muss nicht auf das Silicon Valley warten, um das Auto ins Internet zu bringen. Wir liefern die ersten Lösungen für das vernetzte Fahren selbst und schon jetzt.
      So wird aus der Vision ein Geschäft – ein Geschäft, das allen hilft. Denn es bringt auch verlorene Lebensqualität in unseren Städten zurück.

      Quelle: automobilwoche.de
      Gruß
      Uwe