5 Fragen an Zukunftsforscher Lars Thomsen: "Die deutsche Autoindustrie tut gut daran, offen zu sein für neue Bereiche"

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    • 5 Fragen an Zukunftsforscher Lars Thomsen: "Die deutsche Autoindustrie tut gut daran, offen zu sein für neue Bereiche"

      In den kommenden zehn Jahren wird sich die Mobilität stark verändern. Welche Zukunft haben traditionelle Autobauer noch? Zukunftsforscher Lars Thomsen gibt Antworten.

      Welche großen Umbrüche erwarten Sie in den kommenden Jahren?
      In den nächsten zehn Jahren wird es größere Umbrüche geben. Erstens steht die Elektromobilität vor dem Durchbruch. Reichweite, Ladezeiten und Preis werden auf das Niveau konventioneller Autos kommen. Zweitens: Autonomes Fahren auf Level 5 wird in zehn Jahren ebenfalls möglich sein. Drittens wird die urbane Mobilität sich stark verändern, in Megacitys mit zehn Millionen oder mehr Einwohnern werden nicht alle im eigenen Auto unterwegs sein. Es wird verschiedene Angebote mit völlig autonom fahrenden Autos geben, die die Einfachheit von Taxis mit einem günstigeren Preis kombinieren. Viele Menschen werden keinen Bedarf mehr an einem eigenen Auto haben, in zehn Jahren wird der Preis für die Fahrt mit einem autonom fahrenden Auto ein Zehntel von dem sein, was eine Taxifahrt heute kostet.

      Wann werden die Umbrüche kommen?
      Die Veränderungen werden nicht von einem auf den anderen Tag kommen. Aber wenn mir jemand vor 20 Jahren gesagt hätte, dass ich jeder Mensch einen tragbaren Computer in der Hosentasche hätte mit mir herumtragen würde und auf Knopfdruck umsonst das ganze Wissen der Welt zur Verfügung hätte, hätte ich gesagt: "Du spinnst". Beim Auto gibt eine gewisse Latenz, es geht nicht ganz so schnell wie bei Smartphones, ein Auto ist schließlich langlebiger und teurer als ein neues Smartphone.
      Aber vor allem für die Menschen in den Großstädten wird individuelle Mobilität immer mehr zu einem Dienst auf Knopfdruck. Die Notwendigkeit, ein Auto zu besitzen wird für immer weniger Menschen ein Thema. Die Kunden investieren viel Geld, deshalb kaufen sie sich nicht alle zwei Jahre ein neues Auto.
      Bis dieser Übergang komplett vollzogen ist, wird es etwa zehn bis 20 Jahre dauern. Die Übergangszeit wird spannend. In großen Metropolen wird der Übergang schneller gehen als auf dem Land, wo das Auto einen ganz anderen Stellenwert hat, Carsharing und autonome Fahrzeuge werden wird sich zum Beispiel in Köln schneller durchsetzen als in der Eifel.

      Wie wird sich die Mobilität allgemein entwickeln?
      Wir müssen den Mobilitätsbegriff weiter fassen: Es geht auch um Logistik, also darum, Güter zu transportieren. Mobilität wird sich sogar in ganz vielen neuen Kategorien entwickeln. Ich glaube, die deutsche Autoindustrie ist gut beraten, offen zu sein für neue Bereiche. Ein Beispiel: Unsere Paketlieferungen sind heute fast noch mittelalterlich. Durch den Einsatz von Robotern, selbstfahrenden Fahrzeugen und Drohnen ergibt sich ein wesentlich effizienteres Logistik-System, welches ohne Paketfahrzeuge auskommt, die in zweiter Reihe den Verkehr behindern. Allein dieser Markt ist ein neuer Milliarden-Markt, der nicht gewonnen wird, wenn man nur in den altbekannten Kategorien weiterdenkt.
      Es ist ein großer Markt - wenn in Deutschland 500.000 selbstfahrende Drohnen die Auslieferungen machen würden, hätten wir weniger Parker in der zweiten Reihe und weniger Feinstaub. Der Gründer von Skype entwickelt derzeit autonom fahrende Liefer-Drohnen, die Einkäufe aus dem lokalen Supermarkt nach hause liefert. Dieses kleine Fahrzeug wird nicht verkauft, sondern pro Lieferung für einen Euro vermietet. Wenn man annimmt, dass die Drohne ca. 1000 Euro kostet, hat sie sich bei zehn Fahrten am Tag nach 100 Tagen amortisiert.

      Wie können die Hersteller in Zukunft ihre Kunden überzeugen?
      Marken als Statussymbole verlieren an Bedeutung, Dienstleistungen werden wichtiger. Künftig wird es interessanter sein, was das Auto drinnen bietet, zum Beispiel an Möglichkeiten zum Musik hören, Shoppen, Arbeiten oder Entspannen. Die Nutzer werden für die Nutzung zahlen, das heißt, die Automarken müssen eine Kundenbeziehung aufbauen wie Amazon oder Google. Diese kennen ihre Kunden von Tag zu Tag besser und sind in der Lage, zu einem aktiven Lebensbegleiter zu werden. Sie verkaufen zum Beispiel Laserdrucker und empfehlen als nächstes den passenden Toner dazu. Sie wissen, was der Kunde mag und braucht und können intelligent vorausdenken. Für Hersteller von Fahrzeugen ist das Neuland, aber sie beginnen mit ganz neuen Konzepten. Mercedes kümmert sich zum Beispiel bei Mercedes me nicht nur ums Auto, sondern bietet weitere Dienstleistungen, die Mobilität und den persönlichen Lebensstil aktiv und smart unterstützen. Die Markenstärke der deutschen Hersteller und das Vertrauen der Kunden (auch was die Sicherheit ihrer Daten angeht) ist nicht zu unterschätzen.

      Wie werden sich die Kosten für die Mobilität entwickeln?
      Die Technik für selbstfahrende Autos ist nicht so teuer wie manchmal angenommen, da Computer und künstliche Intelligenz rapide leistungsfähiger und günstiger werden. Zudem werden moderne Fertigungsmethoden, günstigere Batteriepreise und intelligente Fahrerassistenzsysteme individuelle Mobilität sehr viel günstiger als heute machen. Wenn es praktisch keine Unfälle mehr gibt, braucht man keine Knautschzonen mehr und verbaut entsprechend weniger Stahl, die Batterien werden deutlich billiger, es wird relativ schnell Skaleneffekte geben. Mobilität auf Knopfdruck wird für die meisten Menschen in zehn Jahren normal sein, und die Notwendigkeit des Besitzens eines Fahrzeug überflüssig machen.
      Aber: Der Markt für Mobilität bleibt gigantisch: Pro Monat gibt der durchschnittliche Bürger in Deutschland zwischen 300 und 500 Euro für Mobilität aus. Es ist vollkommen klar, dass es viele alte und neue Wettbewerber um dieses Kuchenstück geben wird. Vor rund 20 Jahren wurde der Markt der Telekommunikation in Deutschland dereguliert, und damals war Goldgräberstimmung angesagt, weil man kalkulierte, dass jeder Bürger im Monat 30 bis 50 D-Mark monatlich für Kommunikation ausgeben würde. Auf einmal wird klar, warum Google, Uber und so viele andere Branchenfremde in das Rennen um die intelligente individuelle Mobilität von morgen einsteigen wollen.

      Quelle: automobilwoche.de
      Gruß
      Uwe