Electrify-BW e.V. im Interview: „Reichweitenangst ist so 2015“

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    • Electrify-BW e.V. im Interview: „Reichweitenangst ist so 2015“

      Wie steht es um die Elektromobilität in Deutschland? Wir haben mit Jana Höffner von Electrify-BW e.V über aktuelle Trends der Future Mobility gesprochen.

      Liebe Jana, die Wurzeln von Electrify-BW e.V. reichen bis ins Jahr 2011 zurück. Erzähl uns doch zunächst etwas über die Geschichte und die Ziele des Vereins.

      Eigentlich waren wir mal eine Sport und Freizeitgruppe von Bosch. Der Initiator und heutige Vereinsvorstand Daniel Betsch war schon damals begeisterter Elektromobilist. Als Boschler suchte er gleichgesinnte und gründete daher die Gruppe. Bald schon stießen Menschen dazu, die nicht bei Bosch arbeiteten. Die regelmäßigen Treffen zum Fachsimpeln und Gedankenaustausch wurden ab 2013 durch monatliche Vorträge bereichert. Gleichzeitig wuchs die Gruppe immer weiter an. Längst waren die Boschler in der Minderheit. In 2015 haben wir dann gemeinschaftlich den Entschluss gefasst, das Ganze auf neue organisatorische Füße zu stellen und einen Verein zu gründen. Dies war auch notwendig geworden, um administrative Prozesse zu verbessern.
      Das erste Ziel des Vereins ist es, über Elektromobilität und neue Verkehrskonzepte zu informieren. Wir wollen nicht nur in unserer eigenen Blase wirken, sondern haben ein starkes Sendungsbewusstsein.
      So kam es, dass wir schnell auf Veranstaltungen rund um das Thema Mobilität präsent waren und den Besucherinnen und Besuchern unabhängige Beratung rund um die Elektromobilität anboten. So waren wir auch 2015 das erste Mal auf der iMobility in Stuttgart mit einem großen Stand vertreten. Seitdem kommen wir jedes Jahr. Seit drei Jahren organisieren wir auch den Ladepark auf dem Messepiazza. Vor allem in den Sommermonaten ist unser Terminkalender prall gefüllt und wir sind nahezu jedes Wochenende im Land unterwegs.

      In den vergangenen Jahren hat das Interesse an Elektromobilität stark zugenommen. Welche Rolle spielen dabei deiner Meinung nach der Abgasskandal und die drohenden Dieselfahrverbote?

      Zum einen haben einige Menschen begriffen, dass es nicht die beste Idee ist, einen endlichen Rohstoff mit einem miserablen Wirkungsgrad auf Nimmerwiedersehen in einem Motor zu verbrennen. Zum anderen finden Kunden einfach Lust an den Vorteilen des Elektroantriebs wie etwa die unvergleichliche Beschleunigung und Dynamik oder die absolute Laufruhe. Abgasskandal und drohende Fahrverbote sind da wie ein Katalysator, der die Entwicklung beschleunigt.
      So überlegen sich immer mehr, ob das neue Auto noch einen Verbrennungsmotor braucht, oder ob es nicht inzwischen doch schon ein passendes Elektroauto gibt. Es ist bezeichnend, dass gerade Stuttgart eine der deutschen Städte mit der höchsten Elektroautodichte ist und in Baden-Württemberg die meisten Anträge auf den Umweltbonus für Elektrofahrzeuge pro Kopf gestellt werden.
      Wir hören auch immer wieder auf Veranstaltungen und Gesprächen, dass die Kunden keine Lust mehr haben, sich weiter von bestimmten Automobilkonzernen veräppeln lassen zu wollen.

      Die Elektromobilität ist nicht unumstritten – vor allem mit Blick auf die Herstellung der Akkus sowie die Erzeugung des Stroms, mit dem selbige geladen werden. Wie siehst du das?

      Es ist richtig und wichtig, dass man bei neuen Technologien auch deren Folgen im Auge behält. Nach heutigen Maßstäben hätte ein Verbrennungsmotor daher nie eine Chance gehabt. Auch die Atomkraft hat uns diese Lektion bitter gelehrt. Doch beim Thema Elektromobilität ist auch viel Unsinn im Umlauf. Nehmen wir mal das hartnäckige Gerücht, dass ein Diesel viel sauberer sei als ein Elektroauto, wenn es um CO2 geht. Es lässt sich einfach ausrechnen, wie viel CO2 ein Diesel oder Benziner real auf 100 Kilometer erzeugt. Genauso einfach geht das für ein Elektroauto, da wir wissen, wieviel CO2 bei der Erzeugung einer Kilowattstunde im deutschen Strommix entsteht. Vergleicht man nun einen eGolf mit seinen stinkenden Brüdern zeigt sich, dass der Diesel knapp doppelt und der Benziner sogar fast 2,5-mal mehr Kohlendioxid auf den Kilometer erzeugt. Außerdem hat jeder Kunde beim Strom die Wahl, zu einem echten Ökostrom-Anbieter zu wechseln und so auch die Energiewende anzutreiben.

      Einige Hersteller setzen auf Fahrzeuge mit Brennstoffzellen. Eine sinnvolle Alternative zum Elektroauto mit Batterie?

      Im Pkw-Bereich hat die Brennstoffzelle das Rennen verloren, da die Batterien inzwischen deutlich günstiger sind. Für spezielle Use-cases wird es aber auch weiter Pkw mit Brennstoffzelle geben – ich sehe sie aber langfristig bei uns eher in der Nische. Auch Erzeugung, Lagerung und der Transport von Wasserstoff ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. So braucht man für den Transport von 200 Kilogramm Wasserstoff zur Tankstelle einen 20 Tonnen Lkw. Das reicht gerade mal für 20.000 Kilometer mit Wasserstoffautos. Auch die Energieeffizienz ist von der Quelle bis zum Rad deutlich schlechter als beim batterieelektrischen Auto.
      Brennstoffzellen sind daher interessant für Anwendungen, die derzeit noch nicht sinnvoll mit Batterien darstellbar sind. Etwa im Schwerlastverkehr, in Zügen oder Schiffen. Die Idee aus überschüssigem Ökostrom und Wasser mittels der Hydrolyse – also der Aufspaltung von Wasser mit Strom in Wasserstoff und Sauerstoff – Wasserstoff zu produzieren ist genial. Denn dieser Wasserstoff lässt sich bis zu einem bestimmten Volumenanteil in unser Erdgasnetz einspeisen und dort speichern, um Häuser zu heizen oder in Kraftwerken Strom und Wärme zu erzeugen. Wasserstoff lässt sich auch zu Methan (CH4) weiterverarbeiten, das ebenfalls ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Der Vorteil ist, dass hier die Verteil- und Speicherinfrastruktur bereits besteht und wir so den Strom- und Wärmesektor ebenfalls dekarbonisieren können.

      Obwohl beispielsweise Nissan mit dem Leaf bereits vor fast zehn Jahren sein erstes Elektroauto vorgestellt hat, ist die Modellauswahl – vor allem bei den deutschen Herstellern – nach wie vor überschaubar. Woran liegt das und wann kommt endlich die „Elektroauto-Offensive“?

      Beim genauen Blick auf den Markt zeigt sich, dass es eigentlich schon in fast jedem Pkw-Segment inzwischen eine gute Auswahl an verschiedenen Fahrzeugen gibt. Mit den jetzt vorgestellten Modellen wie dem Hyundai Kona, dem Kia e-Niro, oder auch dem Mercedes EQC, Audi etron oder Jaguar iPace und vor allem dem Tesla Model 3 wächst die Palette zusehend. Der Flaschenhals ist derzeit eher die Lieferbarkeit, als die Nachfrage. So muss man bei manchen Herstellern bis zu zwölf Monate auf ein neues Elektroauto warten. Ich habe die Hoffnung, dass sich dies 2019 aber spätesten 2020 deutlich verbessert.

      Was können deiner Meinung nach Politik und Wirtschaft tun, um die Akzeptanz von Elektroautos bei den Verbrauchern zu steigern? Wo besteht der größte Nachholbedarf?

      Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, dass ein Markt mit Elektroautos funktioniert. Da geht es um die Voraussetzungen für den Aufbau und Betrieb einer guten Ladeinfrastruktur genauso wie um die negative Incentivierung von klimaschädlichen Technologien, wie Verbrennungsmotoren. Die Wirtschaft muss alltagstaugliche Fahrzeuge mit kurzen Lieferfristen bereitstellen. Die Zeiten der Compliance-Cars wie dem Mercedes B250 oder überteuerten VW eUps sind vorbei. Jetzt braucht es Autos, die sich an den Bedürfnissen der Kunden orientieren. Da geht es um Ladetechnik, Reichweite, Preisgestaltung. Einige Hersteller sind da schon weiter als andere. Der Primus ist hier sicher Tesla, aber auch Hyundai und auch Audi gehen hier in die richtige Richtung.

      In Umfragen zum Thema Elektromobilität steht regelmäßig die „Reichweitenangst“ an erster Stelle. Zu Recht?

      Reichweitenangst ist so 2015. Inzwischen wächst die Ladeinfrastruktur in Europa in einem rasanten Tempo. Inzwischen finden sich an den meisten Autobahnraststätten Schnellladestation und es kommen täglich neue hinzu. Musste man vor drei, vier Jahren eine Fahrt noch akribisch planen kann man heute schon fast einfach drauflosfahren.
      Die Reichweitenangst schwindet auch mit jedem gefahrenen Kilometer im Elektroauto. Denn man lernt schnell, die Reichweitenanzeige zu interpretieren. Die richtige Ladestrategie für den täglichen Bedarf – aber auch für längere Strecken – ist nach wenigen Wochen Routine. Ich selbst bin auf inzwischen über 200.000 Kilometern noch nie mit einer leeren Batterie liegen geblieben.

      Wie ist Baden-Württemberg insgesamt im Bereich Elektromobilität aufgestellt?

      In Baden-Württemberg haben wir für Deutschland sehr gute Zustände. Viele Kommunen hierzulande bieten Incentives für Elektroautos an. Etwa das kostenlose Parken auf städtischen Parkflächen. Wir haben hier mit das dichteste Netz an Schnellladeinfrastruktur und weiteren Programmen wie SAFE vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg entsteht nun auch im Ländlichen Raum eine dichte Infrastruktur.

      Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wann werden mehr Elektroautos als Verbrenner auf unseren Straßen unterwegs sein?

      Das ist eine schwierige Frage, über die viel diskutiert wird. Es gibt Studien die gehen davon aus, dass es noch 30 bis 40 Jahre dauern wird, bis sich die Technologie endgültig durchsetzt. Ich glaube daran nicht. Denn wir erleben gerade den Beginn einer Disruption. Ich schätze, dass wir spätestens 2025 den Punkt erreicht haben, wo es nur noch sehr wenige Gründe gibt einen Diesel oder Benziner zu kaufen. Vor allem, weil das Elektroauto bis dahin auch auf dem Preisschild mit seiner qualmenden Konkurrenz mithalten kann. Bei den Unterhalts- und Betriebskosten ist das Elektroauto schon lange deutlich günstiger. Das würde bedeuten, dass bis spätestens 2050 die komplette Pkw-Flotte in vielen Ländern elektrisch ist.
      Auch wenn ein Auto einen deutlich längeren Lebenszyklus als ein Handy hat, werden wir ähnliches erleben, wie beim Smartphone – ein bisschen langsamer, aber das Ergebnis wird das gleiche sein. Heute überlegt keiner mehr, ob er nicht doch besser ein Telefon mit Tasten und zweizeiligem Dot-Matrix-Display kauft. So wird spätesten 2030 keiner mehr überlegen, ob er nicht doch lieber ein Auto mit Verbrennungsmotor kauft. Es wird jedenfalls sehr bald einen Punkt geben, ab dem es sehr schwer wird, einen Diesel oder Benziner an den Kunden zu bringen.

      Quelle: techtag.de/digitalisierung/mob…hweitenangst-ist-so-2015/
      Gruß
      Uwe
    • Es guckt aus allen Knopflöchern: Jana mag VW nicht!
      Es grüßt Martin vom westlichen Ende des Bodensee.
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